Kaum ein Schiff hat so eine wechselvolle Geschichte wie die Astoria, das älteste Kreuzfahrtschiff der Welt. Unter dem Namen Völkerfreundschaft brachte das Schiff einst ausgewählte DDR-Bürger an schier unerreichbare Sehnsuchtsorte. Auch der Matrose Henri und die Stewardess Simone reisten unter der Flagge des kleinen Landes, das damals zu den wichtigsten Seefahrernationen der Welt gehörte, in ferne Länder.
Bis heute hat Henri und Simone die Faszination für dieses Schiff, das ihr Schicksal bestimmte, nicht losgelassen. Nun treten sie noch einmal eine Kreuzfahrt mit der Astoria und damit auch eine Reise in ihre Vergangenheit an. Denn sie begegnen dabei der Schwedin Frida, die als Kind die Schiffstaufe erlebt hat und deren Geschichte ebenfalls ganz eng mit der des Schiffes verbunden ist.
Von Fernweh, Heimweh
und der Versöhnung mit der Vergangenheit
(c) Martin Naumann
Die heimliche Hauptfigur dieses Romans ist das älteste fahrtüchtige Kreuzfahrtschiff der Welt. Es fuhr jahrzehntelang unter dem Namen Völkerfreundschaft. Damals war sein Heimathafen Warnemünde an der Ostsee. Heute liegt dieses Schiff im Hafen von Rotterdam und heißt Astoria. Gebaut wurde es am Ende des 2. Weltkriegs in Schweden und auf den Namen Stockholm getauft. Das Schiff hatte 12 verschiedene Namen und eine ebenso spannende wie bewegende Geschichte. In den ersten Jahren fuhr es auf der Nordatlantikroute zwischen Göteborg und New York. Vor der Küste von Nantucket kollidierte es mit der Andrea Doria, die dabei sank. Danach kaufte die DDR das Unglücksschiff und als sie es sich nicht mehr leisten konnte, wurde es weiter an die Neptunes Enterprice New York verkauft. Der Roman erzählt die Geschichte dieses besonderen Schiffes und der Menschen, die es übers Meer getragen hat.
Die MS Stockholm/Völkerfreundschaft/Astoria
3 Fragen an Kati Naumann
Nachdem ich in meinem letzten Roman unter die Erde gegangen bin, wollte ich diesmal in eine völlig andere, helle Welt eintauchen: ins offene Meer. Die Astoria war schon in meiner Kindheit eine Legende, jeder kannte sie unter dem Namen Völkerfreundschaft, das Kreuzfahrtschiff der DDR. Wer einmal als Passagier darauf fahren durfte, schwärmt noch heute von den unvergesslichen Reisen nach Kuba oder ans Schwarze Meer. Für die Besatzung war die Völkerfreundschaft ein Synonym für unbegrenzte Freiheit und bedeutete andererseits auch ein ständiges Zusammenleben auf engstem Raum. Man musste zusammenhalten, war aufeinander angewiesen und sobald die Dreimeilenzone überschritten war, existierten die Regeln des Festlands nicht mehr.
​
Ihr neuer Roman hat ein sehr ungewöhnliches Setting: Er spielt auf dem ältesten Kreuzfahrtschiff der Welt, der „Astoria“. Wie sind Sie darauf gekommen?
Wie sind Sie bei der Recherche für Ihr neues Buch vorgegangen? Konnten Sie die „Astoria“ besuchen?
Die Astoria liegt derzeit im Hafen von Rotterdam und ich bin natürlich hingefahren, um sie zu sehen. Sie befindet sich landseitig in einem abgesperrten Werftgelände und ich bekam leider keine Erlaubnis von den Eignern, sie zu betreten. Aber ein geschickter Wassertaxifahrer brachte mich von der Wasserseite ganz nah heran, sodass ich sie von allen Seiten ansehen, fotografieren und ihre Stahlhaut berühren konnte. Wie immer bei meinen Recherchen habe ich auch diesmal wieder mit zahlreichen Zeitzeugen gesprochen, Passagieren, Stewardessen, Matrosen, Maschinisten, Funker, um möglichst viel über das Lebensgefühl und den Arbeitsalltag auf diesem und anderen Schiffen zu erfahren. Ich durfte private Fotos von Menschen sehen, die auf einem Schiff gelebt, gearbeitet und gefeiert haben. Sie alle hat die Sehnsucht nach Freiheit und der Ferne aufs Wasser getrieben und viele von ihnen habe die beste Zeit ihres Lebens dort verbracht.
Sie sind bekannt für Ihre emotionalen Familiengeschichten. In Ihrem neuen Roman ist die Familie eine ganz besondere. Erzählen Sie uns doch etwas mehr darüber.
Diesmal beschreibe ich eine Familie, in der jeder auf seine Weise Fernweh hat. Aber nur für einen von ihnen kann sich die Sehnsucht nach der weiten Welt erfüllen. Ich erzähle von Dora, die ihrem kleinen Sohn Erwin nur von einem Elbdampfer aus zuwinken kann, von Henri, der die Seefahrtsträume seines Vaters Erwin verwirklicht, und von seinem späten Glück mit Simone, der ehemaligen Schiffsstewardess. Der Roman hat wieder zwei Zeitebenen und in der Gegenwart treffen Simone und Henri auf zwei Frauen, mit denen sie scheinbar nichts verbindet. Doch die Fahrt auf dem Schiff wird für alle eine Reise in die Vergangenheit, bei der sich zeigt, wie eng ihre Schicksalsfäden miteinander verwoben sind. Und plötzlich wird Henri an seine Schwester erinnert, die ihm einst so nah war und die er doch vor sechsunddreißig Jahren aus seinem Leben verbannte.
(c) Martin Naumann